Ein immer wiederkehrender Klassiker im Fahrerlaubnisrecht und im Bußgeldrecht sind Fragestellungen um die Aussagekraft bestimmter THC und THC COOH Werte.
Hierzu gibt es diverse Studien. Manche älter, manche neuer. Alle leiden unter dem gleichen Fehler: Es wird in diesen Studien den Probanden nicht soviel THC verabreicht, wie bei den heutzutage zum Teil sehr starken Cannabis-Sorten pro Konsum durch die normalen Konsumenten konsumiert wird.
Logisch, dass man diese Studien auf ihren Aussagegehalt prüfen sollte. Man bewertet also bestimmte Lebenssachverhalte infolge von Studienergebnissen, die so wegen stark unterschiedlicher Variablen nicht einfach übertragen werden dürfen.
Einer meiner Mandanten wurde im Verkehr unter Wirkung von THC (5,4 ng/ml) erwischt. Der THC COOH Wert betrug 110 ng/ml.
Es geht im Bußgeldverfahren um die Frage zumindest des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit und der Abgrenzung zwischen diesen Ausprägungen des subjektiven Tatbestandes.
Hierzu führte ich aus:
"Ein Festhalten an Erkenntnissen bzgl der Abbauzeit von THC wie etwa in der 1. und 2. Maastricht Studie ist nicht mehr ohne weiteres möglich. Bei diesen wurden den Probanden 17 bzw. 34 Milligramm THC verarbreicht.
Gesetzt den Fall, ein Betroffener konsumiert einen Joint, der 1 Gramm hochwertiges Gras mit einem Wirkstoffanteil von 20 % THC enthält. Dann würde dieser Joint 200 Milligramm THC enthalten.
Dieser Umstand wiederum wirkt sich kausal erheblich auch auf das Zeitfenster aus, in dem ein Wert wie 5,4 ng/ml THC gemessen werden kann. So ein Wert ist bei den heutigen THC Gehalten auch noch nach weit über 24 Stunden denkbar und damit verbietet sich jeglicher Automatismus, mit dem aus einem THC Gehalt wie hier auf eine vorsätzliche oder fahrlässige Begehungsweise geschlossen wird.
Außerdem ist der Begriff „engfristig“ juristsch sehr unscharf. Mir sind jedenfalls keine empirisch belegbaren Daten bekannt, nach denen „engfristig“ mit „wenigen Stunden“ und damit mit „Vorsatz“ gleichzusetzen ist.
Hier ist eine flexiblere Betrachtungsweise angezeigt, die die höheren THC Gehalten des Cannabis mit in die Beurteilung des Sachverhalts einbezieht.
Im Zweifel ist nur die fahrlässige Begehungsweise sicher nachgewiesen und dafür spricht hier einiges.
Die Wirkstoffgehalte von THC sind zwischen 2006 und 2014 stark gestiegen und haben sich seitdem auf hohem Niveau stabilisiert (Quelle: Europäischer Drogenbericht, S. 23: https://www.dbdd.de/fileadmin/user_upload_dbdd/05_Publikationen/PDFs/EDR-2017_DE.pdf)
Die gemessenen THC Werte im Drogenbericht erreichen 28 % bei Haschisch und 22 % bei Cannabis in der Spitze (a.a.O. S.21).
Unterstellt man etwa, dass die o.g. 200 mg THC komplett aufgenommen werden, so wären im Vergleich zu den Maastricht Studien ca 12 mal so viel THC (im Vergleich zu 17 mg THC) bzw. ca 6 mal so viel Thc (im Vergleich zu 34 mg/THC) verarbeicht worden.
Es liegt nahe, dass dies sich erheblich auf die Frage auswirken muss, welcher THC Wert denn nun noch für einen Vorsatz sprechen soll. Es dürfte schwierig sein, diese Frage ohne ein Sachverständigengutachten zu beantworten.
Sofern dieses Ihrer Meinung nach erforderlich ist und der Fall nicht so entschieden werden kann, wird höflich um Mitteilung gebeten.
Selbst wenn „nur“ 50 und 100 mg THC aufgenommen worden wären, könnte man die Maastricht-Studien nicht mehr ohne weiteres als wissenschaftlichen Nachweis dafür heranziehen, dass der hier nachgewiesene THC Wert tatsächlich den „engfristigen“ Konsum beweist. Ich bitte zudem um eine Definition des Wortes „engfristig“.
Wenn ein Joint Haschischöl enthielt, wären sogar THC Gehalte von 40 – 70 % im Öl bei guter Qualität zu erwarten (vgl Körner/Patzak/Volkmer: BtMG Kommentar, S. 1710, RN 18). Bei sehr guter Qualität 70 % und mehr.
Es erscheint zweifelhaft, dass sich die im Vergleich zu den genannten Studien stark nach oben veränderte Menge an THC nicht auf die maximale Nachweisdauer auswirken soll. Ein derartiger Kausalitätsausschluß dürfte methodischen Bedenken begegnen und nicht haltbar sein.
Mir sind keine Studien bekannt, bei denen höhere, den heutigen realistischen durchschnittlichen Wirkstoffgehalten von Cannabis entsprechenden THC Mengen verabreicht worden sind.
So betrachtet haben die Maastricht Studien nur eine eingeschränkte Aussagekraft.
Anderenfalls müsste man unterstellen, dass höhere THC-Gaben keine Auswirkungen auf die zeitliche Nachweisbarkeit im Sinne der o.g. Studien hätten.
Die Parameter, die weder ich noch Sie bestimmen können, sind: Wirkstoffgehalt des konsumierten Cannabis, Menge des Cannabis, aufgenommene THC Menge mittels Inhalation.
Ihr Rückgriff auf Studien, die auf diese Fragen keine Antwort geben, überzeugt mich nicht. Ich wüsste auch nicht, wie man diese Studien dynamisch anpassen sollte. Es ist bei einer 6 – 12 fachen Dosissteigerung jedenfalls von einer erheblich längeren Zeitspanne auszugehen, bei der ein THC Wert von 5,4 ng/ml THC gemessen werden kann. Wie lang diese ist, wissen wir nicht. Ich gehe mindestens von 48 – 72 Stunden aus."
Hierauf forderte das Gericht ein rechtsmedizinisches Gutachten bei der Universität Mainz an.
Dieses liest sich wie folgt:
"Sachverhalt:
Gemäß der Vorgeschichte (BI. 1 - 6 d. Akte) befuhr am 23.07.2018 gegen 07:45 Uhr eine Polizeistreife in Bad K. Richtung A - Straße
Bereits im ersten Teil sei ein in gleicher Richtung vorausfahrender Motorroller aufgefallen, dessen geschätzte Geschwindigkeit etwa 60 - 70 km/h betragen hätte.
Mit Erreichen der Einmündung R- Straße habe der Streifenwagen unter deutlich beschleunigter Geschwindigkeit (ca. 70 - 80 km/h) aufschließen können.
Nachdem der Motorroller in die W-Straße eingebogen war, konnte er kurz vor der Kreuzung zur S - Straße angehalten und der Fahrer, Herr L. , einer Verkehrskontrolle unterzogen werden.
Im Rahmen der Überprüfung seiner Verkehrstüchtigkeit seien Hinweise auf
Betäubungsmittelkonsum erhalten worden. So habe Herr L. deutlich eingetrübte, gerötete Bindehäute aufgewiesen. Zudem zeigte er ein deutliches Lidflattern bei geschlossenen Augen sowie auch ein hochfrequentes Zittern der Fingerkuppen bei ausgestreckten Armen. Er sei sehr unsicher beim Ein-Bein-Steh-Test gewesen, so dass er beim Stand auf dem linken Bein, das rechte mehrfach absetzen musste.
Herr L. wurde im weiteren Verlauf zur Polizeidienststelle verbracht. Ein dort
durchgeführter Urin-Schnelltest fiel positiv für THC aus. Um 09:10 Uhr wurde dann durch den Arzt, Herrn Dr. H., eine Blutprobe (Klebezettel-Nr. XYZ) bei ihm
entnommen.
Die toxikologische Untersuchung der Blutprobe (Tox-Befund XYZ,T vom
30.08.2018; Bl. 8 - 9 d. Akte) belegte eine Aufnahme von Tetrahydrocannabinol
(THC), dem psychoaktiven Wirkstoff von Cannabisprodukten (Haschisch,
Marihuana). THC lag in der Blutprobe in einer Serumkonzentration von 5,4 ng/mL vor.
Auch konnte dessen gleichfalls pharmakologisch aktives Stoffwechselprodukt
Hydroxy--THC in einer Blutserumkonzentration von 4,0 ng/mL festgestellt werden.
Die Konzentration des THC-Hauptstoffwechselprodukts THC-Carbonsäure im Blutserum betrug 110 ng/mL. Diese Befunde wiesen auf eine engfristige Cannabisaufnahrne hin. Ein Cannabiseinfluss zum Blutentnahmezeitpunkt war daher anzunehmen.
Im ärztlichen Untersuchungsbericht (BI. 7 d. Akte) wurden folgende Auffälligkeiten vermerkt:
Befund:
Konvergenzreaktion: Gestört
Romberg-Steh-Test: Lidflattern
Einbein-Steh-Probe: Sicher, "Zittern"
Diagnose:
Beeinflussung durch Alkohol, Drogen, Medikamente: Gering
Die weiteren Parameter waren unauffällig bzw. die entsprechenden Tests waren nicht durchgeführt worden.
Mit Ausfertigung vom 20.11.2018 erging dann ein Bußgeldbescheid aufgrund einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 (BI. 23- 31 d. Akte). Gegen diesen legte Herr L. über seinen Verteidiger, Herrn Rechtsanwalt Schüller, Einspruch ein.
Zur Begründung führt Herr Schüller in seinem Schreiben vom 29.01.2019 sinngemäß folgendes aus,(61. 48 -50 d. Akte):
Ein Festhalten an Erkenntnissen bezüglich der Abbauzeit von THC, wie etwa in der 1. und 2. "Maastricht-Studie", sei nicht mehr ohne weiteres möglich. In diesen Studien sei den Probanden 17 bzw. 34 mg THC verabreicht worden, während heutzutage hochwertiges Marihuana einen Wirkstoffgehalt von 20 % THC, entsprechend 200 mg THC pro 1 g, enthalten würde.
Die Wirkstoffgehalte seien zwischen 2006 und 2014 stark gestiegen• und hätten sich seitdem stabilisiert (Europäischer Drogenbericht 2017, S. 23), Der THC-Gehalt von Cannabis würde in der Spitze 28 % bei •Haschisch und 22 % bei Cannabis-Kraut erreichen (Europäischer Drogenbericht 2017, S. 21). Haschischöl enthalte bei guter Qualität sogar noch höhere THC-Konzentrationen von 40 - 70 %, bei sehr guter Qualität 70 % und mehr (Körner/Patzak/Volkmer BtMG Kommentar, S. 1710, RN 18).
Würde man nun unterstellen, dass 200 mg THC aufgenommen wurden, so wäre dies verglichen mit den Maastricht-Studien ca. 12-mal so viel THC (im Vergleich zu 17 mg THC) bzw. ca. 6-mal so viel THC (im Vergleich zu 34 mg THC).
Dieser Umstand sollte sich auf das Zeitfenster auswirken, in dem ein Wert von 5,4 ng/mL THC gemessen werden könnte. Seines Erachtens sei der Wert bei den heutigen THC- Gehalten auch noch nach weit über 24 Stunden denkbar, weshalb sich jeglicher Automatismus, mit dem auf eine vorsätzliche Begehungsweise geschlossen wird, verbieten würde.
Vielmehr sei bei einer 6 - 12 fachen Dosissteigerung eine erheblich längere Zeitspanne anzunehmen, bei der ein THC Wert von 5,4 ng/mL THC gemessen werden könnte, wobei nach seiner persönlichen Einschätzung 48 - 72 Stunden in Betracht kämen.
Darüber hinaus seien keine Studien bekannt, bei denen höhere, den heutigen
durchschnittlichen Wirkstoffgehalten von Cannabis entsprechende THC-Dosen verabreicht wurden. So betrachtet hätten die "Maastricht-Studien" nur eingeschränkte Aussagekraft bzw. man müsste unterstellen, dass höhere THC-Gaben keine Auswirkungen auf die zeitliche Nachweisbarkeit hätten.
Überdies seien weder der Wirkstoffgehalt des konsumierten Cannabis, die Menge des Cannabis, noch die mittels Inhalation aufgenommene THC-Menge bekannt.
Ferner sei der Begriff "engfristig" juristisch unscharf. Es seien keine empirisch
belegbaren Daten bekannt, nach denen "engfristig" mit "wenigen Stunden" und damit mit "Vorsatz" gleichzusetzen wäre. Es sei hier eine flexiblere Betrachtungsweise angezeigt, die die höheren THC-Gehalte des Cannabis mit in die Beurteilung des Sachverhalts mit einbeziehen sollte.
Selbst wenn "nur" 50 oder 100 mg THC aufgenommen worden wären, könnte man die "Maastricht-Studien" nicht mehr ohne weiteres als wissenschaftlichen Nachweis dafür heranziehen, dass der nachgewiesene THC Wert tatsächlich den "engfristigen" Konsum beweisen würde und welcher THC-Wert noch für einen Vorsatz sprechen könne, wobei hier auch der Begriff "engfristig" zu definieren wäre. Im Zweifel sei nur die fahrlässige Begehungsweise belegt.
Gutachtliche Stellungnahme
Bei Herrn L. lag zum Blutentnahmezeitpunkt am 23.07.2018 um 09:10 Uhr eine THC-Serumkonzentration von 5,4 ng/mL vor. Hydroxy-THC konnte in einer Blutserumkonzentration von 4,0 ng/mL festgestellt werden. Die Serumkonzentration an THC-Carbonsäure betrug 110 ng/mL.
In einer von Huestis et al. veröffentlichten Studie rauchten Probanden einmalig
Marihuana-Zigaretten mit einem THC-Gehalt von jeweils 15,8 bzw. 33,8 mg pro Zigarette (Literatur 1). Die Blutplasmaspiegel an THC sowie dessen Stoffwechselprodukten Hydroxy-THC und THC-Carbonsäure wurden unmittelbar ab Rauchbeginn gemessen.
Die THC-Konzentration stieg unmittelbar nach Rauchbeginn steil an, wobei die Maximalkonzentration noch während des Rauchens erreicht wurde, fiel dann aber sehr rasch auf niedrige Werte ab. Einen ähnlichen zeitlichen Verlauf zeigte die Hydroxy-THC-Serumkonzentration. Die maximalen Konzentrationen an
THC-Carbonsäure wurden nach 0,5 bis 4 Stunden erreicht.
Auch in den Untersuchungen von Ramaekers et al. ("Maastricht-Studien") wurden ganz analoge Ergebnisse erhalten (Literatur 2, 3). Blutserumkonzentrationen an THC und dessen Metaboliten, die mit den bei Herrn L. festgestellten Werten vergleichbar sind, wurden in der Studie von Huestis et al. im Zeitraum von ca. 2 - 3 Stunden nach Konsum erreicht.
Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei der Eliminationskinetik von Betäubungsmitteln ausgeprägte inter- und intraindividuelle Unterschiede bestehen. Eine exakte, d.h. genaue Eingrenzung des Konsumzeitpunkts anhand von Blutkonzentrationswerten ist daher prinzipiell völlig unmöglich.
Es können vielmehr grundsätzlich nur Zeitintervalle angegeben werden. Im betrachteten Fall wäre für den Konsum eine Zeitspanne von etwa 2 - 4 Stunden vor der Blutentnahme als am wahrscheinlichsten anzusehen.
Gleichwohl können gemäß Untersuchungen von Skopp et al. und Karschner et al bei chronischen Konsumenten erhöhte THC-Spiegel auch noch längere Zeit nach Konsum vorliegen (Literatur 4 - 5).
Insbesondere in der Studie von Karschner wurde bei Personen, die täglich 1 - 8 "Joints" bzw. "Blunts" konsumiert hatten, noch am 4. Tag nach dem letzten Cannabis-Konsum THC-Plasma-Konzentrationen von 0 - 7,5 ng/mL (Median 1,3 ng/mL) gefunden. Die THC-Carbonsäure-Konzentrationen lagen am 3. Tag im Bereich 6,3 - 111 ng/mL (Median 18,1 ng/mL).
Es wäre somit
unter der Annahme eines eheblichen chronischen Cannabismissbrauchs nicht auszuschließen, dass der Konsum auch zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sein könnte, bis etwa maximal ca. 3 - 4 Tage vor der Blutentnahme.
Nun ist es tatsächlich so, dass der THC-Gehalt in aktuell gehandelten Cannabisprodukten erheblich höher ist, als dies in den genannten kontrollierten pharmakokinetischen Studien von Huestis et al. und Ramaekers et al. der Fall war. Kontrollierte pharmakokinetische Untersuchungen unter Verabreichung sehr hoher THC-Dosen, beispielsweise zwischen 100 und 200 mg, existieren jedoch nicht und sind auch aus ethischen Gründen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, da das lntoxikations-Risiko für die Probanden einfach zu hoch wäre. Insofern gibt es auch keine publizieren Daten darüber, zu welchem Zeitpunkt nach dem Konsum einer sehr hohen THC- Dosis ein Konzentrationswert in der Höhe von ca. 5,4 ng/mL zu erwarten wäre.
Der Gedanke, dass nach Aufnahme einer höheren Dosis ein solcher Wert später erreicht wird, als nach einer entsprechend geringeren Menge, ist aber plausibel und insofern ganz grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen.
Gewisse Anhaltspunkte zur Klärung dieser Frage, können vorläufige Ergebnisse einer aktuell im Institut für Rechtsmedizin Mainz durchgeführten Doktorarbeit liefern. In Rahmen dieser Dissertation werden Patienten untersucht, die mit verschiedenen THC-haltigen Arzneimitteln, wie insbesondere auch mit wirkstoffreichem Medizinalhanf, behandelt
werden.
Bei einem der Patienten konnte nach täglichem Rauchen von 1 g Bedrobinol
(THC-Gehalt 13,5 %), entsprechend einer Dosis von insgesamt 135 mg THC, ca. 3,5 Stunden nach der letzten Inhalation eine Blutserumkonzentration an THC von 3,8 ng/mL festgestellt werden. Ca. 2 Stunden nach Rauchen von insgesamt 1,2 g Bedrobinol (THC-Gehalt 13,5%), entsprechend einer Dosis von insgesamt 162 mg THC, lag eine Blutserumkonzentration an THC von 4,6 ng/mL vor (Publikation in Vorbereitung). Diese Konzentrationen liegen im Bereich des bei Herrn L. festgestellten THC-Wertes von 5,4 ng/mL bzw. sogar noch etwas darunter. Ein THC- Blutserumspiegel dieser Größenordnung ist also durchaus auch relativ kurze Zeit nach Konsum von sehr wirkstoffreichem Cannabismaterial möglich. Der Konsumzeitpunkt muß also nicht zwangsläufig sehr viel länger zurück liegen.
Von wesentlicher Bedeutung ist aber, dass die zum Blutentnahrnezeitpunkt bei Herrn L. festgestellte THC-Blutserumkonzentration von 5,4 ng/mL eine Höhe aufweist, bei der eine Cannabiswirkung 'anzunehmen ist.
So ergaben beispielsweise die Untersuchungen von Ramaekers et al. (Literatur 2), dass 75 - 90 % der Testpersonen bei THC-Blutserumkonzentrationen zwischen 5 und 10 ng/mL Beeinträchtigungen in drei, verschiedenen psychomotorischen Leistungstests zeigten.
Es ist somit naheliegend, einen gewissen, wie stark auch immer ausgeprägten,Cannabiseinfluss zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 09:10 Uhr und somit zwangsläufig auch bei der vorangegangenen Verkehrskontrolle gegen 07:45 Uhr bei Herrn L. anzunehmen.
Übereinstimmend dazu erweckte Herr L. den ermittelnden Polizeibeamten gegenüber auch den Eindruck, dass er unter Betäubungsmitteleinfluss stehen würde.
Insbesondere aber bei der späteren ärztlichen Untersuchung zeigte Herr L. Rauschmittel-typische Beeinträchtigungen.
So sei die Konvergenzreaktion seiner Augen gestört gewesen. Beim Romberg-Steh-Test zeigte sich Lidflattern und bei der Einbein-Steh-Probe ein Zittern. Die gestörte Konvergenzreaktion der Augen ist zwanglos als verkehrsmedizinisch relevantes als Zeichen einer akuten Beeinflussung durch Cannabis aufzufassen. Eine gestörte Konvergenzreaktion ist Ausdruck einer Fixationsstörung der Augen. Eine ungestörte Fixationsfähigkeit ist jedoch unabdinglich für die Betrachtung von Objekten in der Nähe, ohne dabei eine Doppelbildwahrnehmung auszulösen.
Es liegt hier somit eine verkehrsrelevante Einschränkung seiner psycho-physischen Leistungsfähigkeit vor. Auch das Lidflattern beim Romberg-Test spricht für eine solche Beeinträchtigung. Insofern erscheint auch die abschließende ärztliche Diagnose einer geringen Drogenbeeinflussung bei Herrn
L. konsistent.
In Hinblick auf die Frage, ob der Cannabiseinfluss zum Blutentnahme- und Vorfallszeitpunkt für Herrn L. selbst erkennbar gewesen sein kann, gibt es keinen Grund zur Annahme, warum dies nicht der Fall gewesen sein sollte, abgesehen man würde eine ausgeprägte Toleranzentwicklung infolge chronischen Cannabismissbrauchs voraussetzten.
Überdies sei darauf, hingewiesen, dass ein Konsument nach der Aufnahme einer vvirkstoffreichen Cannabissorte eine wesentlich stärkere Wirkung erfährt, als nach Genuss eines entsprechend THC- ärmeren Produkts. Folglich muss er auch damit rechnen, dass bei einer erheblich höheren Aufnahmedosis der Wirkstoff sehr viel länger im Körper verbleibt.
...
1. M.A. Huestis, J.E. Henningfield, E.J. Cone: Blood Cannabinoids.1 Absorption of THC and Formation of 11- OH-THC and THCCOOH During and After Smoking Marijuana. J. Anal. Toxicol. 16 (1992), 276- 282
2. J.G. Ramaekers, M.R. Moeller, P. van Ruitenbeek, E.L. Theunissen, E. Schneider, G. Kauert Cognition and motor control as a function of Delta9-THC concentration in serum and oral fluid: Limits of impairment. Drug Alcohol Depend 85 (2006), 114- 122
3. J.G. Ramaekers, G. Kauert, E.L. Theunissen, S. W. Toennes, M.R. Moeller Neurocognitive performance during acute THC intoxication in heavy and occasional cannabis users. J. Psychopharmacol. 23 (2009), 266 - 277
4. G. Skopp, B. Richter, L. Pötsch: Cannabinoidbefunde im Serum 24 bis 48 Stunden nach Rauchkonsum. Arch. Kriminol. 212 (2003), 83- 95
5. E.L. Karschner, E. W. Schwilke, R.H. Lowe, WD. Darwin, R.I. Heming, J.L. Cadet, MA. Huestis: Implications of plasma Delta-9-tetrahydrocannabinol, 11-hydroxy-THC, and 11-nor-9-carboxy-THC concentrations in chronic cannabis smokers. J. Anal. Toxicol. 33 (2009), 469 - 77 "
Was lernen wir hieraus?
Dieses Gutachten enthält eine wichtige Kernaussage:
Es wird ausgeführt, dass keine Studien vorliegen, bei denen soviel THC gegeben wird, wie heute häufig konsumiert wird.
Das bedeutet, dass man zunächst bei der Frage, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit im Bußgeldverfahren vorlagen, sehr genau prüfen muss. Häufig wird man die vorsätzliche Begehungsweise damit ausschließen können.
Es ist in diesem Zusammenhang nochmals mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass man keine Einbein-Tests, 30 Sekunden Zähl-Tests, Linienlaufen und dergleichen mitmachen muss.
Lassen Sie das also. Machen Sie es trotzdem mit, wird man in der Regel etwas negatives daraus ableiten. Konkret dann die Wirkung des THC.
Das eigentlich spannende an der Aussage der Gutachter ist jedoch die Erkenntnis, dass alle Studien, auf die sich Behörden und MPU-Begutachtungsstellen so gerne berufen, um vorschnell den gelegentlichen oder gar regelmäßigen Konsum von Cannabis anhand des THC COOH Wertes zu bejahen, veraltet sind.
Keine dieser Studien dürfte dem Grunde nach mehr zur Bestimmung des gelegentlichen Konsums über den THC COOH Wert herangezogen werden, weil die entsprechenden Studien nicht mehr zeitgemäß sind im Hinblick auf die nunmehr höheren Wirkstoffgehalte.
Sehr wichtig dürfte diese Erkenntnis auch bei der Frage sein, welcher THC COOH Wert sich noch mit einem Einmalkonsum von Cannabis erklären lässt. Und für die Frage, ob die Grenze zwischen dem gelegentlichen und dem regelmäßigen Konsum nicht auch deutlich verschoben werden muss.
Und diese Unterteilung ist nicht nur für die Frage entscheidend, ob nur ein ärztliches Gutachten oder doch eine MPU angeordnet wird...
In MPU Gutachten werden diese alten Studien oft herangezogen, um eine angebliche falsche Aussage des Betroffenen (Konsummuster passt nicht zur Aussage) für ein negatives Ergebnis heranzuziehen.
"Der Mandant hatte nicht die notwendige Offenheit. Seine Angaben passen nicht mit (den veralteten, von uns aus Bequemlichkeit verwendeten alten) Studien zusammen. Das Gutachten muss daher negativ ausfallen."
So liest sich das dann sehr oft. Ich helfe Ihnen gerne, solche Fehler aufzudecken und zu beheben.
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Betroffener (Donnerstag, 10 Oktober 2019 14:33)
Wollen Sie damit andeuten, dass es nicht legitim ist, dass aufgrund eines THC COOH Wertes von 23 ng/ml von einem gelegentlichen Konsum auszugehen?
Sie sind der Auffassung, dass KEINE der üblichen Studien zu dem Thema der Aussagekraft von bestimmten THC COOH Werten hinsichtlich der damit verbundenen Konsummuster "up to date" ist, also praktisch mangels hinreichender Aussagekraft unanwendbar sind?
Das ist in der Tat mal eine Ansage!
Rechtsanwalt Schüller (Samstag, 12 Oktober 2019 11:43)
Ja, so kann man das formulieren. Die Studien, die üblicherweise zitiert werden zu dem Thema, haben einen gemeinsamen Nenner: Sie sind nicht up to date. Will heißen, dass die Wirkstoffmengen, die dort gegeben worden sind, nicht mehr den heutigen Lebensrealitäten entsprechen.
Ist so, als wollte man alte Studien über Bier und seine Wirkungen direkt auf hochprozentigen Schnaps 1 : 1 übertragen. Ist doch wirklich nicht sonderlich komplex und auch ohne Nobelpreis zu begreifen: Eine höhere aufgenommene Menge an THC beim Konsum führt zu höheren Abbauwerten.
Und damit muss man auch bei der Interpretation dieser Abbauwerte mal kritisch nachjustieren. Wenn da noch fabuliert wird, bei 10 ng/ml THC COOH sei der gelegentliche Konsum bewiesen, kann man sich nur wundern. Diesen Wert erzielt man doch überspitzt gesagt bereits als Passivkonsument, wenn man an jemanden vorbeiläuft, der gerade holländisches Superkraut Marke Umlaufbahn Jupiter qualmt und man von dem Qualm bißchen was abbekommt.
Es ist doch so:
Man darf in grundrechtsrelevanten Bereichen erwarten, dass wissenschaftlich sauber, präzise und objektiv vorgegangen wird.
Die Gutachterstellen (gerne v.a. der TüV Süd) tun sich damit aber schwer.
Leif (Sonntag, 20 Oktober 2019 17:23)
Danke.
Interessanter Beitrag. Insgeheim war das ja jedem von uns schon lange klar.
Was ich mich jetzt frage, welche Auswirkung hat das Gutachten auf den Prozess bzw. wird das Gutachten anerkannt?
Damit kann mir doch aber auch kein Richter mehr unterstellen, dass ich mit z.B. 3 ng/ml aktives THC im Blut unter "Rausch" bzw. Vorsatz gefahren bin. Vorausgesetzt ich mache keine Tests und keine unbedachten Aussagen oder Auffälligkeiten..
Rechtsanwalt Schüller (Mittwoch, 23 Oktober 2019)
@Leif:
Das haben Sie falsch verstanden, die Wirkung wir nach wie vor ab 1 ng/ml THC unterstellt.
Es geht bei dem Gutachten darum, ob das Argument glaubwürdig ist, man hätte über 24 Stunden vor der Fahrt konsumiert (und damit weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt).
Dass eine solche Aussage fahrerlaubnisrechtlich kritisch sein kann, steht auf einem anderem Blatt. Aber so einfach ist es jetzt nicht mehr wissenschaftlich betrachtet für die Behörden.
Hardy (Mittwoch, 13 November 2019 10:35)
Wenn sich nun also aufgrund der THC und THC-COOH Werte keine Aussage mehr zum Konsummuster treffen lassen, wie will die FsSt. dann überhaupt noch ÄGs oder MPUs anordnen wenn man sich glaubhaft auf einen Probierkonsum beruft und es das erste mal für den Betroffenen ist, dass dieser mit aktiven THC im Verkehr aufgriffen wird (vorausgesetzt man hat keine gegenteilige Aussage gemacht, Konsumgüter oder Substanzen bei sich oder andere diesbez. Akteneinträge)? Die FeV §11 sieht so etwas nämlich nur für gelegentliche oder regelmäßige Konsumenten vor, siehe Anlage 4. Der dazugehörige §14 der FeV ist da meiner Meinung nach etwas schwammig formuliert wann nun ein ÄG oder eine MPU angeordnet werden darf.
Ich würde mich über eine Stellungnahme freuen
Rechtsanwalt Schüller (Mittwoch, 13 November 2019 17:36)
@Hardy:
Wenn die FSST wissenschaftlich redlich handelt, muss Sie vor der Anordnung einer MPU das Konsummuster im ärztlichen Gutachten bestimmen. Das wissen die Behörden und deshalb handeln sie wissenschaftlich unredlich. Die Bestimmung eines Konsummusters über den THC COOH läuft aufgrund aktueller Studien weitgehend leer. Das hindert die Behörden und Gutachterstellen (schöne Grüße an den TüV an dieser Stelle!) aber nicht, auf die veralteten Studien zurückzugreifen oder unbewiesen zu fabulieren, dass es unwahrscheinlich sei, nach dem Erstkonsum auch noch eine Fahrzeugkontrolle zu geraten (deshalb mindestens gelegentlicher Konsum).
Wissenschaftliche Redlichkeit bedeutet: Wenn ich eine Theorie nicht beweisen kann, ist sie falsch. Anstelle dies zu praktizieren, wird dieser Mangel einfach mit Annahmen überspielt, die der Kompetenzillusion der Beteiligten geschuldet sind.
Gerade Gutachter müssen auch über die Fähigkeit einer offenen Fehlerkultur verfügen und gutachterliche Wissensgrenzen (Vermeidung von Wissensgrenzen) offen im Gutachten offen legen (vgl Handbuch des Fahreignungsrechts, Pattermann, Schubert, Graw S.87 mwN).
Davon sind viele Gutachter bei den Begutachtungsstellen Lichtjahre entfernt. Auch beim TüV. "Offene Fehlerkultur" ist ein Fremdwort in praxi.